Er liebte die frische Herbstluft. Früh morgens etwas weniger, aber jetzt, wo die Oktobersonne zwischen den Ästen hindurch auf sie niederschien und die bunten Blätter am Boden mit jedem Schritt raschelten …
Die plötzliche Umklammerung seines Beins riss ihn fast von den Füßen.
„Bitte, bitte, lass uns Schluss machen!“, jammerte ein helles Stimmchen.
Er lächelte und pflückte ihr ein Blatt aus dem Haar. „Komm schon, Krümel, noch eine Runde.“
„Das hast du vor drei Runden schon gesagt!“ Der Krümel schmollte. „Meine Brust tut schon ganz weh vom viele
Dort, wo das Schilf ganz ruhig steht, dichte Seerosenwälder die Grenze zwischen Land und Fluss verschwimmen lassen und alte Trauerweiden sanft die Wasseroberfläche streicheln, ist die Stimmung ganz besonders. Dort kann sie vergessen, dass es auf der Welt noch andere Menschen gibt. Dort kann sie die Geschichten glauben, die ihre Eltern ihr als Kind erzählten, damit sie nicht zu weit von zu Hause wegpaddelte. Die Erzählungen, dass der Name des großen Stromes, der hier so verspielte Ausläufer bildet, von seinen ureigensten Bewohnern stammt. Hier ist es zauberhaft.
Sie und ihr grünes Kanu mit dem seltsamen Name
„Oma lebt noch!“
Mit diesem kurzen Satz hat alles angefangen. Oder hat damit alles aufgehört?
Allein die Erinnerung bewirkt, dass ich mich umdrehe, um misstrauisch die Straße entlang zu blicken. Da ist nichts. Die kleinen Drohnen beachten mich nicht. Keinen von uns. Natürlich nicht. Die Sache ist vorbei. Schon seit Jahren vorbei.
Aber es fühlt sich nicht so an.
Ich strecke mich, die Hände in den Rücken gestemmt. Es knackt vernehmlich und Thomas blickt besorgt von seinen Hausaufgaben auf. Seine helle Kinderstimme ist inzwischen tiefer geworden. Er wird in diesem Jahr sein Abitur ablegen. Seine Note
„Nun mach schon!“ Geris Stimme klang überlaut in der Dunkelheit, obwohl er nur geflüstert hatte. „Hast du nicht gesagt, du kriegst das auf?“
„Klar krieg ich das auf!“ Jonas sah seinen Freund böse an, bevor er sich wieder seinem Lockpickset zuwandte. „Hetz mich nicht!“
„Es ist mein Job, dich zu hetzen.“ Geri grinste.
Jonas machte einen abfälligen Laut. „Nen Scheiß ist es!“
„Haltet den Mund und beeilt euch lieber!“ Benjamin wandte ihnen nicht einmal den Kopf zu. Sein Blick huschte schon seit einer Ewigkeit zwischen den dunklen Bä
„Er kommt bald, also beeilt euch gefälligst!“, brüllte er den Menschen zu, die am Wegesrand arbeiteten.
Auf seinem Rundgang durch die Festung hatte der Burgherr eine Menge Lücken in seinen Verteidigungssystemen gefunden. Seine Arbeiter waren völlig überlastet, trotzdem musste er sie weiter antreiben. Es waren noch zu viele Schwächen in der Festung, die dem herannahenden Feind Einlass gewähren würden. Er musste sich beeilen, wenn er ihn noch abwehren wollte. Der Vorbote des Gegners war bereits durch eine Sicherheitslücke geschlüpft und war so in das Schloss gelangt. Er hatte schon
„Sie haben das Gold gefunden.“
„Hm“, machte Klaus. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. „Es wundert mich, dass sie so lange dafür gebraucht haben, wo sie doch so klug sind.“
Folkmar biss sich auf die Lippen. Das war typisch. Ungepflegt und ungewaschen saß Klaus da und starrte ins Nichts, während er sich über die Ungerechtigkeit beschwerte, die ihm zuteil wurde. Ausgerechnet er.
„Das alles hier“, bemerkte Folkmar bitter. „Das geschieht dir recht.“
Klaus lachte verächtlich. „Mir fallen auf Anhieb einige Menschen ein, die das hier mehr verdient h
„Das kann nicht sein.“
Teilnahmslos vor Müdigkeit hob Chrissi den Blick und starrte auf das, was Fenrir zu dieser frustrierten Aussage gezwungen hatte. Zwischen den Grabsteinen schälte sich ein Gebäude aus dem Nebel. Das Mausoleum. Zum vierten Mal.
„Es liegt hinter uns.“ Fenrir sah demonstrativ über die Schultern. „Wie kann es gleichzeitig vor und hinter uns liegen?“
„Vielleicht ist es ein anderes“, schlug Chrissi leise vor, doch sie erntete nur einen beinahe mitleidigen Blick als Antwort. Der Griff um ihren Arm dagegen verlor nichts von seiner Härte. Fast als hä
Der Boden erzitterte unter einem heftigen Aufprall und etwas legte sich wie ein Schraubstock um ihre Brust. Blinzelnd schlug Manu die Augen auf.
„Was …?“
„Mami!“
Der Druck auf ihre Brust wurde stärker. Stöhnend richtete sie sich auf und legte die Arme um Melli, die einzige Methode, um wieder zu Atem zu kommen. Tatsächlich ließ der Griff nach. Woher hatte dieses Kind bloß diese Kraft? Unauffällig schielte sie über dem blonden Haarschopf zu den Leuchtziffern des Digitalweckers auf dem Sofatisch. Viertel vor drei. Nicht im Ernst.
„Mami!“
Manu gähnte und schlos
Aaron: „Mhh …“
Tron: „Oh nein, hör mir auf.“
Aaron: „Guck doch!“
Tron: „Nee. Echt nich. Lass uns weitergehn. Der Alte merkt bestimmt gleich, dass wir weg sind.“
Aaron: „Das sind Erdbeeren, Mann. Echte Erdbeeren!“
Tron: „Mit Zucker, ja. Hab ich gesehen. Bin ja nich blind.“ (zeigt auf sein Gesicht.) „Trag nicht mal mehr ne Brille, siehst du?“
Aaron: „Erdbeeren gibt’s da oben nicht! Und wenn was mit Erinnerungen nach hier unten verbunden ist, dann ja wohl das da!“
Tron: „Das is wahr …“
Aaron (verträumt.)
Sie sitzen vor mir, aufgereiht wie zu einem Tribunal. Die Juristin mit dem tiefgrün funkelnden Siliziumkristall im Dekolleté und der Unternehmer. Wir sind umgeben von teuren Möbeln, die geschmackvoll zu einem stimmigen Gesamtbild kombiniert sind. Eine Einrichtung wie aus dem Katalog.
Sie lächelt mich an. Unsicher. Ein Riss in der schönen neuen Welt.
„Möchten Sie Kaffee, Frau Grube?“
Ich zwinge meine Lippen zu einer Imitation ihres Lächelns. Was herauskommt, muss grotesk wirken, doch sie lässt es sich nicht anmerken.
„Gerne. Schwarz, bitte.“
Sie lehnt sich zurück und gib
Er liebte die frische Herbstluft. Früh morgens etwas weniger, aber jetzt, wo die Oktobersonne zwischen den Ästen hindurch auf sie niederschien und die bunten Blätter am Boden mit jedem Schritt raschelten …
Die plötzliche Umklammerung seines Beins riss ihn fast von den Füßen.
„Bitte, bitte, lass uns Schluss machen!“, jammerte ein helles Stimmchen.
Er lächelte und pflückte ihr ein Blatt aus dem Haar. „Komm schon, Krümel, noch eine Runde.“
„Das hast du vor drei Runden schon gesagt!“ Der Krümel schmollte. „Meine Brust tut schon ganz weh vom viele
Dort, wo das Schilf ganz ruhig steht, dichte Seerosenwälder die Grenze zwischen Land und Fluss verschwimmen lassen und alte Trauerweiden sanft die Wasseroberfläche streicheln, ist die Stimmung ganz besonders. Dort kann sie vergessen, dass es auf der Welt noch andere Menschen gibt. Dort kann sie die Geschichten glauben, die ihre Eltern ihr als Kind erzählten, damit sie nicht zu weit von zu Hause wegpaddelte. Die Erzählungen, dass der Name des großen Stromes, der hier so verspielte Ausläufer bildet, von seinen ureigensten Bewohnern stammt. Hier ist es zauberhaft.
Sie und ihr grünes Kanu mit dem seltsamen Name
„Oma lebt noch!“
Mit diesem kurzen Satz hat alles angefangen. Oder hat damit alles aufgehört?
Allein die Erinnerung bewirkt, dass ich mich umdrehe, um misstrauisch die Straße entlang zu blicken. Da ist nichts. Die kleinen Drohnen beachten mich nicht. Keinen von uns. Natürlich nicht. Die Sache ist vorbei. Schon seit Jahren vorbei.
Aber es fühlt sich nicht so an.
Ich strecke mich, die Hände in den Rücken gestemmt. Es knackt vernehmlich und Thomas blickt besorgt von seinen Hausaufgaben auf. Seine helle Kinderstimme ist inzwischen tiefer geworden. Er wird in diesem Jahr sein Abitur ablegen. Seine Note
„Nun mach schon!“ Geris Stimme klang überlaut in der Dunkelheit, obwohl er nur geflüstert hatte. „Hast du nicht gesagt, du kriegst das auf?“
„Klar krieg ich das auf!“ Jonas sah seinen Freund böse an, bevor er sich wieder seinem Lockpickset zuwandte. „Hetz mich nicht!“
„Es ist mein Job, dich zu hetzen.“ Geri grinste.
Jonas machte einen abfälligen Laut. „Nen Scheiß ist es!“
„Haltet den Mund und beeilt euch lieber!“ Benjamin wandte ihnen nicht einmal den Kopf zu. Sein Blick huschte schon seit einer Ewigkeit zwischen den dunklen Bä
„Er kommt bald, also beeilt euch gefälligst!“, brüllte er den Menschen zu, die am Wegesrand arbeiteten.
Auf seinem Rundgang durch die Festung hatte der Burgherr eine Menge Lücken in seinen Verteidigungssystemen gefunden. Seine Arbeiter waren völlig überlastet, trotzdem musste er sie weiter antreiben. Es waren noch zu viele Schwächen in der Festung, die dem herannahenden Feind Einlass gewähren würden. Er musste sich beeilen, wenn er ihn noch abwehren wollte. Der Vorbote des Gegners war bereits durch eine Sicherheitslücke geschlüpft und war so in das Schloss gelangt. Er hatte schon
„Sie haben das Gold gefunden.“
„Hm“, machte Klaus. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. „Es wundert mich, dass sie so lange dafür gebraucht haben, wo sie doch so klug sind.“
Folkmar biss sich auf die Lippen. Das war typisch. Ungepflegt und ungewaschen saß Klaus da und starrte ins Nichts, während er sich über die Ungerechtigkeit beschwerte, die ihm zuteil wurde. Ausgerechnet er.
„Das alles hier“, bemerkte Folkmar bitter. „Das geschieht dir recht.“
Klaus lachte verächtlich. „Mir fallen auf Anhieb einige Menschen ein, die das hier mehr verdient h
Der Boden erzitterte unter einem heftigen Aufprall und etwas legte sich wie ein Schraubstock um ihre Brust. Blinzelnd schlug Manu die Augen auf.
„Was …?“
„Mami!“
Der Druck auf ihre Brust wurde stärker. Stöhnend richtete sie sich auf und legte die Arme um Melli, die einzige Methode, um wieder zu Atem zu kommen. Tatsächlich ließ der Griff nach. Woher hatte dieses Kind bloß diese Kraft? Unauffällig schielte sie über dem blonden Haarschopf zu den Leuchtziffern des Digitalweckers auf dem Sofatisch. Viertel vor drei. Nicht im Ernst.
„Mami!“
Manu gähnte und schlos
Sie sitzen vor mir, aufgereiht wie zu einem Tribunal. Die Juristin mit dem tiefgrün funkelnden Siliziumkristall im Dekolleté und der Unternehmer. Wir sind umgeben von teuren Möbeln, die geschmackvoll zu einem stimmigen Gesamtbild kombiniert sind. Eine Einrichtung wie aus dem Katalog.
Sie lächelt mich an. Unsicher. Ein Riss in der schönen neuen Welt.
„Möchten Sie Kaffee, Frau Grube?“
Ich zwinge meine Lippen zu einer Imitation ihres Lächelns. Was herauskommt, muss grotesk wirken, doch sie lässt es sich nicht anmerken.
„Gerne. Schwarz, bitte.“
Sie lehnt sich zurück und gib
Ein Tatzenabdruck im Schlamm. Direkt neben der Spur eines menschlichen Fußes. Eines nackten, menschlichen Fußes.
Ich atmete tief durch und blickte vorsichtig auf, um sicherzugehen, dass Kristin meine Nervosität nicht bemerkte. Nein, hatte sie nicht. Sie war zu sehr auf den Weg konzentriert. Das war mit Sicherheit eh die klügere Entscheidung. Der schmale Wanderweg war schlammig und rutschig und ließ eigentlich überhaupt keine Zeit, sich über merkwürdige Spuren Gedanken zu machen.
War da halt ein Fußabdruck. Na und? Es gab eben auch hier draußen Menschen, die keine Schuhe mochten. Das einzige,
Nervös trat Thoras von einem Fuß auf den anderen. Er konnte noch immer das unnachgiebige Metall an seinen Handgelenken spüren und den festen Schlag in den Magen. Die Strafe für sein Aufbegehren. In seine Ohren klangen die Protestworte nach, die mitleidlose Erwiderung des Soldaten und das Klirren von Ketten. Er schauderte und stellte fest, dass ihn selbst die feuchte Kälte der Kerkermauern noch nicht verlassen hatte.
Trotzdem tat Charon nichts. Er stand einfach da, zerzaust in seinem hastig übergeworfenen Gewand und den offenen, weißen Haaren, und starrte seinen ungebetenen Besucher an. Es war schlecht zu
Zwei Tage vor Thanksgiving by Tutziputz, literature
Literature
Zwei Tage vor Thanksgiving
Auf einer Farm am Rande einer malerischen Siedlung im US-Bundesstaat Vermont lebte ein Truthahn. Es hatte ein wunderschönes, weißes Gefieder, auf das er auch sehr stolz war. Und es war ein glücklicher Truthahn. Die Farm, auf der er lebte, hätten man bei uns in Deutschland vermutlich als Bio-Bauernhof bezeichnet. So hatten die Truthähne viel Auslauf auf einer umzäunten Wiese und wurden mit gesundem Biomais gefüttert.
Und so gab es nicht viel, was dem Truthahn ernstliche Sorgen hätte bereiten können. Fast sein ganzes bewusstes Leben lang hatte Sommer geherrscht, und er hatte es stets geliebt, in der